Wohin geht’s? Positionen und Beiträge
zum Arbeitsfeld Kultur & Management

Konzerte sind unsere Raison d’Être. Die CAMERATA BERN.

Die CAMERATA BERN ist ein Streichensemble mit Kernbesetzung von 15 Musiker*innen, die mit innovativen und mutigen Programmen das Publikum begeistern möchten. Über die flexible Organisationsstruktur, Aufführungen ohne Dirigenten und die Zeit der Coronakrise sprachen wir mit der Co-Geschäftsführerin Sonja Koller.

SKM: Sonja, was steht heute alles auf deiner Agenda?

Nach dem Interview werde ich Emails abarbeiten und Verträge erstellen. Danach habe ich ein Zoom-Meeting mit Vertreter*innen anderer freier Orchester. Es entsteht derzeit ein neues, internationales Netzwerk zwischen Streichensembles in Europa, die eine ähnliche Grösse haben und ähnlich finanziert sind. Es sind Orchester, die wie wir nicht voll subventioniert werden und mit selbstständigen Musikern ohne klassische Hierarchien gewissermassen selbstverwaltet sind. Wir machen uns gemeinsam Gedanken über neue Konzertformate, über die Zukunft der klassischen Musik und über Programme mit zeitgenössischer Musik. Während des Lockdowns und auch jetzt, wo wir alle langsam wieder anfangen, Konzerte zu spielen, war und ist dieser Austausch mit anderen Ensembles, die in einer ähnlichen Situation waren, sehr wertvoll.

Ihr bewegt euch im internationalen Konzertbetrieb, da ist ja im Moment wenig möglich. Wie sieht das bei euch aus?

Zum Glück haben wir eine eigene Aboreihe mit sechs Konzerten pro Saison und auch andere eigene Veranstaltungen. Diese Basis bleibt also. Zusammen mit den Verantwortlichen der Veranstaltungsorte schauen wir nun, was wie möglich ist. Eine grössere Herausforderung sind die Schutzkonzepte für die Proben. Hinzu kommt, dass unsere Ensemblemitglieder in verschiedenen europäischen Ländern wohnhaft sind. Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften machen die Planung schwierig.

Was die Gastspiele betrifft, so müssen wir erstmal die Sommerpause abwarten und beobachten, wie sich die Situation mit Corona entwickelt. Allein im August wurden bei uns vier Konzerte abgesagt. Im März 2021 ist die nächste grössere Tournee und wir gehen derzeit noch davon aus, dass diese stattfinden kann.

Bei unseren Eigenveranstaltungen haben wir das Programm Bohemian Rhapsody mit Antje Weithaas, welches für den vergangenen März geplant war, auf den Oktober verschoben. Es ist noch nicht klar, ob wir dieses – für unsere Verhältnisse sehr gross besetzte Programm, das auch Bläser*innen benötigt – durchführen können. Dafür haben wir einen Plan B entworfen. Einige weitere Konzerte mussten ganz abgesagt werden.

Oberstes Ziel ist es, nun aber wieder Konzerte zu geben. Konzerte sind unsere Raison d’Être, und wenn die wegfallen, ist das schon einschneidend. Unser erstes Konzert seit dem Lockdown ist für Anfang September geplant. Dann hatten wir während sieben Monaten keine Aufführung. In der Geschäftsstelle hatten wir deswegen nicht weniger Arbeit, im Gegenteil, aber wenn die Konzerte wegfallen, wird es irgendwann unbefriedigend. Wir suchen also intensiv nach Wegen, um veranstalten zu können.

Die CAMERATA BERN weist flache Strukturen auf, wie funktioniert so etwas auf der künstlerischen Ebene?

Kammermusiker*innen sind es sich gewohnt, ohne Dirigenten zu spielen. Sie stimmen sich gegenseitig ab und reagieren aufeinander. Der Stimmführer oder die Konzertmeisterin leiten jeweils auch ihre Gruppen an oder die Solisten übernehmen diesen Part. Dass das Spielen ohne Dirigent*in sogar bei grösseren Werken wie zum Beispiel Dvořáks Violinkonzert funktioniert, ist schon aussergewöhnlich. Das geht mit sehr guten und wachen Musiker*innen. Die Zuständigkeiten müssen geklärt sein, und jede*r einzelne ist gefordert, Verantwortung zu übernehmen und einen eigenen Input zu geben.

Flache Hierarchien zeichnen die CAMERATA also auf mehreren Ebenen aus?

Ja, die Musiker*innen bestimmen viele Sachen selber. Sie halten regelmässig Ensemblesitzungen ab, organisieren die Besetzung selber und jede*r kann Ideen reinbringen. Wir haben eine Programmkommission, die für die Abokonzerte die Programme erarbeitet, und natürlich haben wir auch Ensemblevertreter*innen im Stiftungsrat. Als es während des Lockdowns um die Frage ging, wie wir während dieser Zeit für unser Publikum präsent bleiben können, haben wir dies in einem Videomeeting mit dem Ensemble besprochen.

Inspirierend ist aber immer, dass Musiker von verschiedenen Seiten zusammenkommen und gemeinsam musizieren. Jetzt, wo keine Konzerte stattfinden und nach wie vor Reisebeschränkungen bestehen, ist dies nicht möglich. Klar, man kann per Videokonferenz miteinander sprechen, aber wie wir alle wissen, ist das nicht das gleiche wie bei einer realen Begegnung. Ein Gemeinsamkeitsgefühl in dieser Situation herzustellen, ist nicht einfach.

Ihr führt die Geschäfte der CAMERATA in einer Co-Leitung, wie teilt ihr euch die Aufgabenbereiche auf?

Simone Wegelin hat einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, meiner liegt in der Musikwissenschaft. Sie kümmert sich um das Fundraising, die Finanzen, das Marketing und Personalfragen, ich bin für die künstlerische Planung, Produktion und Realisierung der Konzerte zuständig. Neben Simone und mir gibt es noch zwei Mitarbeiterinnen, davon ist die eine auch Musikerin im Ensemble. Wir arbeiten alle Teilzeit, insgesamt sind das nicht viele Stellenprozente.

Gehört die künstlerische Leitung auch zu deinen Aufgaben?

Künstlerische Planung ja, die künstlerische Leitung liegt jedoch in erster Linie bei den Musiker*innen. Mit Patricia Kopatchinskaja als Artistic Partner haben wir eine starke künstlerische Persönlichkeit, die auch ein künstlerisches Profil für die CAMERATA formt. Wir haben eine Programmkommission, welche die Programme hauptsächlich konzipiert. Ich bin eins von fünf Mitgliedern und koordiniere diese Gruppe.

Wie hält man die Brücke zum Publikum während der Zeit des Lockdowns aufrecht?

Wie oben erwähnt, gab es zu Beginn per Videokonferenz ein Brainstorming mit dem ganzen Ensemble. Daraus wurden ein paar Ideen ausgewählt: Es war schnell klar, dass wir etwas Handfestes machen wollen und nicht nur online erscheinen möchten. Wir leben weit auseinander und das Zusammenkommen, um gemeinsam zu musizieren, ist jeweils ein schöner Moment. Wir haben daher ein Stück ausgewählt, das wir spielen werden, wenn wir uns wieder gemeinsam treffen. Die Partitur dieses Stücks geht derzeit per Post quer durch Europa zu den einzelnen Musiker*innen des Ensembles. An jeder Station machen die Musiker*innen einen kleinen Video-Clip für Instagram. Beim ersten Konzert, das wir nach dem Lockdown gemeinsam spielen werden, wird dieses Stück zu hören sein.

Die zweite Aktion war ein Postkartenversand. Unsere Musiker haben sämtlichen Abonnentinnen und Gönner*innen der CAMERATA BERN persönliche Postkarten geschrieben. Es war unglaublich, wie viele Rückmeldungen wir bekommen haben. Viele Leute haben auch an die Geschäftsstelle geschrieben, hier angerufen und sich bedankt oder selber eine Postkarte zurückgeschrieben. Dieser direkte und persönliche Kontakt war uns wichtig, gerade weil die CAMERATA ein sehr treues Stammpublikum hat.

Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen: Wird die Coronakrise strukturelle Veränderungen nach sich ziehen? Um künftig wendiger zu sein für solche Fälle?

Da wir so klein sind, sind wir ohnehin flexibel und in dieser Hinsicht gut aufgestellt. Simone und ich sind nun seit einem Jahr in der Geschäftsleitung. Simone hat von Anfang an vieles digitalisiert, was uns die Umstellung auf Home-Office erleichtert hat.

Derzeit findet eine Rückbesinnung zum Lokalen statt, die ich persönlich begrüsse. Kultureller Austausch ist wichtig, auch dass man von aussen Inputs aufnimmt und unterwegs ist, stelle ich nicht in Frage und ist eine wichtige Lebensader für die Kunst. In den letzten zehn Jahren hat sich jedoch alles zu sehr beschleunigt. Es wurde normal, Musiker*innen auch für sehr kurze Konzertphasen einzufliegen. Das ist ökologisch längst nicht mehr vertretbar und in der jetzigen Situation auch ein strukturelles Problem. Schon jetzt sehen wir das, zum Beispiel bei Musiker*innen aus Spanien, die bei der Einreise in die Schweiz neu in Quarantäne müssen. In der aktuellen Situation suchen wir daher vermehrt lokale Musiker*innen.

Inwieweit verändert sich mit diesen Rahmenbedingungen der Programminhalt? Im Theater sieht man, dass Stücke mit kleiner Besetzung gespielt werden und Abstände zwischen den Schauspielern eingehalten werden müssen, Kussszenen fallen bspw. weg…

Im Moment sind wir vorsichtig und planen wieder verstärkt für unsere Kernbesetzung. Mit der Planung beispielsweise grosser Projekt mit vielen Bläser*innen halten wir uns zurück. Es geht uns vor allem auch darum herausfinden, wie wir in einer schönen Atmosphäre auftreten können, so steril macht das keine Freude. Eine der ersten Aufführungen, die ich nach dem Lockdown besucht habe, war ein Konzert, in dem statt 650 Personen nur 130 in den Saal durften. Da fühlte man sich so wie auf einer einsamen Insel. Es braucht schon eine bestimmte Energie, mit einer bestimmten Nähe zu den Menschen. Aber da sind wir heute bereits wieder an einem anderen Ort, in den letzten drei Monaten wurden viele Erfahrungen gesammelt mit Veranstaltungen trotz Pandemie. Wir sind alle gefordert Wege zu finden, wie man zusammen Musik machen und erleben kann.

Du hast vor 10 Jahren Kulturmanagement studiert. Welches sind die Anforderungen, die man heute an Kulturmanager*innen stellt?

Ich merke, dass es bereits Standard geworden ist, eine Weiterbildung in Kulturmanagement absolviert zu haben. Es wird schwieriger in diesem Feld zu arbeiten, ohne dieses breit abgestützte Wissen. Ich selber kam aus einem geisteswissenschaftlichen Studium und hatte noch keine Ahnung von Recht und Betriebswirtschaft. Digitalisierung ist sicher der grösste Baustein, der in den letzten zehn Jahren hinzugekommen ist. Wir waren ja damals noch in einer Gruppe, wo das Smartphone noch keine grosse Rolle spielte.

Die Digitalisierung hat die Welt extrem beschleunigt und ich hatte in den letzten Jahren oft das Gefühl, ich sei zu langsam und hinke hinten nach. Dieser Standard-Modus gab den Takt vor: Alles was möglich ist, muss man machen und ermöglichen. Meine Sorge gilt daher eher dem Inhaltlichen, dass der Inhalt aufgrund des Produktionsdrucks nicht verkümmert. Es ist oft schwierig, genügend Zeit zu haben, um sich mit einem Thema oder mit Geschichte vertieft auseinander zu setzen. Die Coronakrise zeigt uns nun deutlich, dass nicht alles kontrollierbar und machbar ist. Langsamkeit sollte wieder mehr Berechtigung bekommen. Mit dem Shutdown ist auch wieder die Sinnfrage aufgekommen: Warum machen wir Konzerte? Für mich geht es um Begegnung und um die Konzentration auf den Moment, was ermöglicht, neue Türen aufzustossen. So etwas geht nur, wenn man nicht die ganze Zeit am Herumrennen ist. Und das ist doch etwas, das die Kultur immer ermöglichen sollte.

 

Interview: Franziska Breuning und Manuela Casagrande