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Schweizer Kulturszene im Ausnahmezustand

Die Ausbreitung des Coronavirus hat das öffentliche Leben in der Schweiz de facto lahmgelegt. Davon betroffen ist auch die heimische Kulturlandschaft: Museen sind geschlossen, Theatervorstellungen und Konzerte abgesagt – so auch in der Kaserne Basel. Sandro Bernasconi, Leiter Musikbüro, und Luisa Bitterlin, Mitverantwortliche Musikprogramm, erklären, was das für die Zukunft der Musikszene bedeutet.

 

Güvengül Köz Brown: Herr Bernasconi, nichts scheint mehr so, wie es einmal war: Wir führen das Interview wegen der Corona-Krise per Videokonferenz anstatt wie vereinbart in einem Café. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus, seitdem der nationale Notstand ausgerufen worden ist?

Sandro Bernasconi (SB): Der radikalste Einschnitt ist sicherlich, dass in der Kaserne Basel bis Ende April keine Veranstaltungen mehr stattfinden werden. So pathetisch das auch tönen mag, aber damit wurde uns das Herzstück unserer Arbeit herausgerissen. Ausserdem hat sich auch die räumliche Situation verändert: Wir arbeiten nicht mehr in einem Grossraumbüro, d.h. Teamsitzungen sowie der schnelle und direkte Austausch etwa mit den Mitarbeitenden aus der Kommunikationsabteilung gibt es in der Form nicht mehr. Unsere Tätigkeit hat sich von einem Tag auf den anderen in die digitale Welt verschoben. Nichtsdestotrotz ist es erstaunlich, wie schnell man sich an verändernde Gegebenheiten anpasst.

Hat es die bestehende Infrastruktur überhaupt erlaubt, dass Sie derart schnell auf Homeoffice umstellen konnten?

Luisa Bitterlin (LB): Einige hatten bereits einen Geschäftslaptop, andere mussten aber den ganzen Arbeitsplatz mit nach Hause nehmen. Wie es aber Sandro schon erwähnt hat, habe auch ich mich sehr schnell an die neue Situation gewöhnt. Das liegt aber wohl auch daran, dass man derzeit keine andere Wahl hat. Was aber längerfristig eine Herausforderung sein wird, ist die Art und Weise, wie wir uns regelmässig mit dem gesamten Team austauschen können. Im Moment geschieht vieles per E-Mail, nur kleinere Teams wie unsere kommunizieren regelmässig per Skype.

Mit der Absage der Basler Fasnacht hat sich bereits Ende Februar ein bisschen abgezeichnet, was auf Veranstalter zukommt. Was ging Ihnen damals als erstes durch den Kopf ging, Herr Bernasconi?

SB: Nachdem der Bundesrat Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen verboten hatte, hat die Regierung des Kantons Basel-Stadt eine Genehmigungspflicht für Veranstaltungen ab 200 Personen eingeführt. Weil wir schon im Vorfeld dieses kantonalen Entscheids im engen Austausch mit der Abteilung Kultur sowie dem Gesundheitsdepartements waren, haben wir schnell die Bewilligungen für die nächsten zwei Tage erhalten. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir nicht davon ausgehen, dass wir eine Woche später alle Veranstaltung absagen würden. Im Endeffekt hat uns Corona gelehrt, in kleinen Schritten zu denken und zu planen. Ob wir tatsächlich ab Mai wieder Konzerte veranstalten können, wird sich zeigen. Ich bin gespannt auf die weiteren Massnahmen, die der Bundesrat beschliessen wird.

Was bedeutet diese Unsicherheit für Künstlerinnen und Künstler, die jetzt nicht auftreten können?

LB: Alleine im März und April mussten wir rund 20 Konzerte absagen – zum Teil haben aber auch die Bands selbst ihre ganzen Europatourneen aufgrund der aktuellen Situation abgesagt. Seither sind wir daran, für diese Vorstellungen Ersatztermine im Herbst zu finden. Einerseits, weil wir an unserem Programm festhalten möchten, andererseits, weil ohne Konzerte viele Musikschaffende finanziell essentiell bedroht sind.

Wie sieht es mit der rechtlichen Lage aus? Das Ganze kommt einem Vertragsbruch gleich.

SB: Das ist tatsächlich die Diskussion, die derzeit geführt wird, denn gegen Pandemie ist niemand versichert – aber gegen höhere Gewalt wie etwa Erdbeben oder extreme Sturmwinde schon. In solchen Fällen ist die Gage nicht geschuldet. Zu klären ist aber, ob die weltweite Ausbreitung einer  Massenerkrankung tatsächlich als höhere Gewalt eingestuft werden kann. Die Debatte wird auf jeden Fall zu einem Streitpunkt führen, besonders weil es dazu keinen Präzedenzfall gibt. Da wir aber im Moment die Termine verschieben und nicht absagen, müssen wir nicht mit zusätzlichen Kosten rechnen.

Gehen wir kurz vom Worst-Case-Szenario aus: Was werden Sie machen, wenn der Bundesrat den Notstand verlängert?

LB: Unabhängig davon überlegen wir uns schon jetzt, was wir als Kaserne Basel kurzfristig für die Öffentlichkeit leisten und dabei auch noch die Basler Musikszene fördern können. Im Moment fragen wir u. a. diverse lokale Musikschaffende für bekannte Formate wie Live-Stream-Konzerte an. Parallel dazu sollen auch Interviews mit Koproduktionspartnern wie die Bscene stattfinden.

SB: Wir nutzen die Zeit aber auch dafür, um uns neue Formate zu überlegen, denn Streaming-Angebote gibt es ja bereits zuhauf im Internet. Kommt hinzu, dass die Kaserne Basel ein Haus der performativen Künste ist, in dem Live-Erlebnisse im Zentrum stehen. Dieser emotionale Aspekt lässt sich nicht einfach in die digitale Welt verschieben. Deshalb finde ich die aktuelle Situation auch so spannend, denn sie gibt uns die einmalige Chance, endlich ausserhalb der Box zu denken. Wir müssen uns jetzt mit bestehenden Formaten und Fördermodellen konstruktiv auseinandersetzen und uns die Frage stellen, was sind die Alternativen, damit wir weiterhin Menschen mit unserem Programm erreichen können? Eine Möglichkeit sehe ich beispielsweise darin, dass wir zu den Menschen gehen, wenn sie schon nicht zu uns kommen können. Warum also nicht Konzerte in einem dafür umgebauten Lastwagen organisieren? So könnten Musikfans die Vorstellung von ihren Fenstern und Terrassen aus geniessen. Solche Überlegungen sind zuletzt deshalb wichtig, weil die Situation noch prekärer sein wird, falls auch im Sommer alle Festivals abgesagt werden müssen.

Die Kunst- und Kulturszene ist prädestiniert dafür, Veränderungsprozesse aktiv mitzugestalten. So legt die Kaserne Basel seit einiger Zeit beim Programmieren grossen Wert auf Diversität. Wie anspruchsvoll ist es, die Pluralität unserer Gesellschaft inhaltlich aufzugreifen und auf die Bühne zu bringen?

LB: Ich sehe es als stetige Herausforderung ein möglichst diverses, multikulturelles und frauenförderndes Programm auf die Beine zu stellen. Um dem gerecht zu werden, gehen wir auf Bands direkt zu, die solche Kriterien erfüllen. Das heisst: Wir sind zum Teil vom klassischen Musikbooking weggekommen, wo ein Agent eine Band vorschlägt und wir sie einfach buchen. Ich muss aber gestehen, dass gerade dieser Anspruch auf Diversität im Musikprogramm sowie jener, vermehrt Koproduktionen auf die Beine zu stellen, Ansporn waren, mich 2018 auf die Stelle zu bewerben.

SB: Nachdem Sandro Lunin 2018 die Leitung der Kaserne Basel übernommen hat, steht uns für die Förderung von Diversität im Kulturprogramm auch mehr Zeit zur Verfügung. Das motiviert uns natürlich, unser Hamsterrad zu verlassen und auch eigene Projekte zu diesem Thema zu lancieren. So haben wir vor zwei Jahren das Austauschprojekt Kallemi initiiert, wo wir Musikerinnen aus Basel und Palästina zusammengebracht haben, damit sie mit einem eigenen Programm auftreten können. Inzwischen werden sie für Konzerte in ganz Europa gebucht. Dennoch ist es eine Illusion zu glauben, dass wir mit unserem Programm die gesamte Palette der Diversität abdecken. Das ist schier nicht möglich, deshalb findet sie lediglich in der Form statt, wie wir Vielfalt interpretieren. Kuratieren bedeutet nun mal auch ausschliessen. Aber deswegen dürfen wir uns nicht verrückt machen.

Welchen Einfluss hat Ihr eigener Musikgeschmack auf das Programm?

LB: Er spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle, aber nicht ausschliesslich. Zudem höre ich privat so unterschiedliche Musikrichtungen, dass ich auch nicht das Gefühl habe, dass mein Geschmack das Kaserneprogramm eingrenzt. Gleichzeitig sind wir natürlich bestrebt, Bands zu buchen, die sich auch finanziell lohnen. Dadurch haben wir die Möglichkeit, auch Musikschaffende zu engagieren, die sich in einer Nische bewegen. Diese Balance gelingt uns sehr gut, wie ich finde.

Und wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Bernasconi?

SB: Selbstverständlich haben wir einen Leistungsauftrag zu erfüllen, sonst würden wir unsere Arbeit nicht richtig machen. Dennoch wäre es gelogen, wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich nicht zu 150 Prozent hinter dem Musikprogramm stehe. Zudem bin ich der Meinung, dass es jedem Kulturhaus guttut, eine eigene, unverwechselbare Handschrift zu haben.

Welche Bedeutung hat die Musik, wenn Sie abends die Tür zur Kaserne schliessen und nach Hause gehen?

SB: Musik ist allgegenwärtig in meinem Leben – unabhängig von der Tageszeit. Mein Problem ist eher, darauf zu achten, dass ich nicht mein ganzes Umfeld damit beelende (lacht).

LB: Da gibt es auch bei mir keine Tür, die ich abends hinter mir zumache. Wenn ich zu Hause beispielsweise Musik von neuen Bands höre, denke ich automatisch daran, ob wir sie für ein Konzert buchen sollten. Aber das ist ja auch das tolle an unsrem Job: Wir leben unsere Leidenschaft und das ist ein Privileg.

Interview: Güvengül Köz Brown